Sonntag, 22. Mai 2022

Bad Bockelt – Poppenhausen

Morgenessen gibt‘s erst ab acht Uhr, und dann habe ich grosse Entscheidungsschwierigkeiten. Wohin soll ich heute gehen? Eher wenig gehen, zum Beispiel bis Bad Kissingen, und dort in ein Wellness-Hotel mit Sauna und so? Oder doch bis ins bestimmt schöne Poppenhausen, obwohl noch keine Antwort auf meine Anfrage von gestern eingetroffen ist? Oder mit dem Bus und/oder Zug nach Schweinfurt und dann am Montag dem Main entlang?
Unentschieden und recht spät mache ich mich auf den Weg und denke, es werde sich entscheiden, irgendwie.
Der Weg geht erst durch die Parkanlagen des Bades, entlang der fränkischen Saale, dann weiter nur noch entlang der fränkischen Saale. Auch hübsch.

Die hübsche fränkischen Saale

Eine schöne Gegend, schönes Sonntagmorgenwetter, viele, viele schöne E-Bikes, E-Mountainbikes genauer gesagt. Das Verhältnis E vs. richtiges Velo liegt etwa bei 80 : 20, und das über den ganzen Tag gesehen. Erstaunlich.

Nach etwa eineinhalb Stunden beginnt dann die sehr grosse Parkanlage von Bad Kissingen, inkl. eines schmucken kleinen Flugplatzes, von dem aus Segelflugzeuge von einer kleinen Motormaschine hochgeschleppt werden. Schon wieder ein Segelflugzeugflughafen. Das Segelfliegen scheint in der Rhön eine grosse Tradition zu haben.

Ein Jugendstil-Flughafen?

Im Zentrum wird‘s dann fast kitschig; die Gebäude sind geschätzt aus der Jahrhundertwende 19./20. Jahrhundert, gut unterhalten und gepflegt. Die Parkanlagen blitzen vor Sauberkeit. Am Zentralplatz wird ein Wasserspiel von klassischer Musik untermalt. Ich wähne mich in einem Roman von Thomas Mann, wären da nicht Leggings, On-Schuhe und E-Mountain-Bikes.

Sogar mit Palmen!
Vor dem Springbrunnen wird gehullahooped. Passt jetzt nicht sooooo gut ins Bild.

Die Trinkhalle des Bades sieht italienisch aus.

Trinkhalle heisst Mineralwasser trinken. Magnesium-Natrium-Sulfat-Wasser. Genau.

Ich senke das Durchschnittsalter leicht. Roland Kaiser dürfte etwa im Median liegen.

Im Mai wird für August plakatiert. Der Mann muss äusserst erfolgreich sein.

Ich bin sicher, ihm fliegen noch immer Zimmerschlüssel, Blumen und andere Liebesgaben auf die Bühne.
Immerhin behauptet Bad Kissingen von sich, es sei der bekannteste Kurort von Deutschland.

Könnte in einem Dürrenmatt-Roman zum Beispiel das Palais des Staatspräsidenten sein (ich Wichtigtuer).

In der Zwischenzeit hat sich das Hotel Goldener Stern aus dem bestimmt schönen Poppenhausen gemeldet: Herr Zitzmann lässt mich wissen, ein Zimmer sei frei und würde mich erwarten. Ich sage zu.

Dann wird‘s ernst: rund 250 Höhenmeter bis zum Wittenberger Turm. Dort gibt‘s, natürlich, frisch gebrautes Bier, Blasmusik und monströse Torten. Leider konnte ich kein Bild davon machen; sie waren ausserordentlich bemerkenswert. Dafür hier ein Bild vom Wittenberger Turm und von der Aussicht von dort:

Der Turm.
Darauf guckt er.

Die folgenden zweieinhalb Stunden sind von Hartbelag und Fussschmerzen geprägt. Ein Teil meines Wegs läuft über den Jakobsweg, und der ist weniger auf landschaftliche Schönheit und Laufkomfort ausgelegt, mehr auf schnelle Zielerreichung und sollen die Pilger ruhig etwas leiden.
Wie gestern laufen wieder verschiedene Wege auf demselben Weg. Was mich zu folgendem Sinnspruch inspiriert:
Alle Wege sind ein Weg – der zu Dir.
Der wäre doch schön auf einer Website einer oder eines Life-Coach, am liebsten in hellem Blau gehalten, eventuell in einer Serifenschrift gesetzt. Oder auf einem Kalender mit Landschaftsbildern, so mit Schnee und so. Oder auf einer Wandtafel mit Kreide geschrieben und schön mit Blüemli und Blettli fäziert.
Jedenfalls: Ich stelle ihn zur Verfügung, einfach ausschliesslich ohne Quellenangabe.

Schliesslich taucht doch noch schemenhaft, fast wie eine Fata Morgana, das bestimmt schöne Poppenhausen am Horizont auf.

Der erste Eindruck des bestimmt schönen Poppenhausen.

Ich eile in den Goldenen Stern (naja, nach gut vier Stunden Hartbelag ist es nur so etwas Ähnliches wie eilen) und freue mich auf ein Zimmer, ein kühles Bier und die fränkische Küche. In der Folge entwickelt sich eine Eskalation von Frustrationen, wie ich sie im Gastgewerbe noch selten erlebt habe. Es ist eine Bestätigung jedes einzelnen negativen Vorurteils über das Gastgewerbe. Lassen wir den gnädigen Mantel des Schweigens darüber fallen. Ah, doch, ein kleiner Aspekt: natürlich kann man nicht mit Karte zahlen; das WLAN sei so schlecht im Gastraum, und meine Karte sei nicht zugelassen. Also, immerhin: WLAN gibt’s. Doof, dass niemand von der Belegschaft mehr weiss, wie das Passwort heisst. Ich kann es also nicht nutzen.
Das Internet ist für uns alle Neuland, sagte ja 2015 schon Angela Merkel.

Nachtruhe.